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Rechtshistorie der Wandrosetten |
von
Lutz Meißner |
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zum
Bildteil |
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Wandrosetten - Ein kleiner Exkurs in die
Frankfurter Rechtsgeschichte |
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Den meisten Leuten fallen sie gar nicht auf:
die Wandrosetten, die an vielen Häusern
entlang der Straßenbahnstrecken ihren Dienst
tun. So unscheinbar sie auch sein mögen, es
steckt in ihnen ein beachtliches
Konfliktpotential. |
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Mit dem Beschluss der Stadtverordneten, die
Pferdebahn in städtische Regie zu
übernehmen, begann 1897 zugleich die
Elektrifizierung der Straßenbahn. Die
„Trambahnumwandlung“, wie man das Projekt
damals allgemein nannte, rief ein bis dahin
unbekanntes Problem hervor: die Querdrähte,
die den in 6 m Höhe über dem Gleis
befindlichen Fahrdraht hielten, bedurften
einer stabilen Befestigung, entweder an
eisernen Masten an der Bürgersteigkante oder
mit Wandrosetten unmittelbar an Gebäuden
(deshalb war damals auch der Begriff
Hausrosetten gebräuchlich), was die
Einwilligung der Hauseigentümer
voraussetzte. Es sind Fälle überliefert, in
denen Hauseigentümer keinen Mast vor ihrem
Haus haben wollten und von sich aus die
Anbringung einer Wandrosette verlangten;
aber in der Regel war es umgekehrt: wegen
räumlicher Enge konnte kein Mast gestellt
werden, doch die betroffenen Hauseigentümer
lehnten die Anbringung einer Wandrosette ab,
manche aus Prinzip, manche befürchteten
Schäden am Gebäude oder die Übertragung von
Schwingungen ins Gemäuer; dass diese
Befürchtung nicht unbegründet war, lässt
sich den ersten Bau- und
Betriebsvorschriften mit der Verpflichtung
zum Einbau von Schalldämpfern entnehmen
[1]. |
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Das
städtische Enteignungsrecht nach preußischem
Recht |
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Der massive, regelrecht organisierte
Widerstand ließ das Bahnamt die Verzögerung
oder gar Vereitelung seiner Ausbaupläne
befürchten. Dem mit der Trambahnumwandlung
beauftragten Konsortium
[2]
war es nur in sehr wenigen Fällen gelungen,
die erforderliche Erlaubnis zu erwirken,
nachdem sich Hauseigentümer in großer Zahl
auf Versammlungen geeinigt hatten, die
Wandrosetten nicht zu genehmigen
[3].
Für das Bahnamt war die Frage „Mast oder
Wandrosette“ nicht nur eine Frage der
Ästhetik oder der Verkehrssicherheit,
sondern auch eine Geldfrage. Für die
Aufstellung eines Rohrmastes wurde je nach
Horizontalzugstärke mit Kosten zwischen 160
und 200 Mark kalkuliert, für einen
Gittermast zwischen 75 und 165 Mark, für
eine Wandrosette nur rd. 15 Mark
[4]. |
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Die Möglichkeit, Wandrosetten auch gegen den
Willen der Eigentümer anzubringen, eröffnete
das preußische Enteignungsgesetz
[5].
Allerdings konnte das private Eigentum nicht
schon unmittelbar aufgrund des Gesetzes in
Anspruch genommen werden, vielmehr musste
das Enteignungsrecht, hier also das Recht,
den Hauseigentümer zur Duldung einer
Wandrosette zu verpflichten, erst durch
Verordnung des Preußischen Königs verliehen
werden. Erst danach konnte der Magistrat
beim Regierungspräsidenten das eigentliche
Enteignungsverfahren beantragen. |
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In einem Bericht an den Magistrat betreffend
die „Einführung des elektrischen Betriebes
auf der städtischen Strassenbahn dahier,
insbesondere Verleihung des
Enteignungsrechts zur Anbringung von
Wandrosetten an Privatgebäuden“ forderte das
Elektrizitäts- und Bahnamt schon am
25.7.1899, der Magistrat wolle den Erlass
einer Königlichen Verordnung erwirken
[6].
Beigefügt war dem Antrag ein Verzeichnis der
Gassen, Straßen und Plätze, in denen der
Polizeipräsident die Aufstellung von
Bahnmasten aus verkehrspolizeilichen Gründen
nicht gestattete. Die Straßenliste war so
umfangreich, dass Wandrosetten im bebauten
Ortszusammenhang die Regel, die Masten die
Ausnahme gewesen sein dürften. |
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Etwa ein Jahr später gelangte der
umfangreiche Antrag des Magistrats (u.a.
hatte der Regierungspräsident die
Einreichung eines Plans mit allen zu
elektrifizierenden Strecken nebst
umfassender Kalkulation der Kosten der
Netzerweiterung und Elektrifizierung
gefordert
[7]
auf dem Dienstweg über den
Regierungspräsidenten in Wiesbaden und den
Preußischen Minister der Öffentlichen
Arbeiten zur Kenntnis seiner Majestät. In
seinem Sommerurlaub, auf der königlichen
Yacht „Hohenzollern“ vor Helgoland weilend,
unterzeichnete der Preußische König und
Kaiser Wilhelm II. das beantragte Dekret am
30.7.1900. Im städtischen Amtsblatt Nr. 37
vom 8. September 1900 konnten es die
Frankfurter lesen: |
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Damit war die Frankfurter
Straßenbahn das dritte
Unternehmen in Preußen nach der Grossen
Berliner Strassen-Bahn-Gesellschaft
und der Casseler
Strassenbahn-Actiengesellschaft, dem das
Ent- eignungsrecht für die
Wand-Rosetten verliehen
worden war
[8]. |
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Die nunmehr mögliche
Drohung, die Montage der
Wandrosetten notfalls zu
erzwingen, scheint den
organisierten Widerstand der
Hauseigentümer gebrochen zu
haben. Die Bediensteten des
Bahnamtes haben danach so
erfolgreich verhandelt, dass
auf Enteignungsverfahren
verzichtet werden konnte.
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Wesentlich für den
Verhandlungserfolg war nach
Auffassung des Bahnamtes das
Prämienmodell, das man ohne
Genehmigung des Magistrats
eingeführt hatte. Eine
Prämie von 6,00 Mark
erhielten die Bediensteten
für jede bei
Privateigentümern erzielte
Genehmigung zur Anbringung
einer Rosette. Einen
interessanten Einblick gibt
der nachträglich vom Bahnamt
gestellte Antrag auf
Genehmigung der
Prämienzahlung: |
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„...Der Bauführer Volck, welcher mit den
einschlägigen Verhältnissen
besonders vertraut ist,
wurde beauftragt, durch
mündliche Verhandlungen und
Einwirkung auf die
Hausbesitzer zu versuchen
die Zusagen derselben zu
erlangen. |
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Dieses Verfahren hat
sich bewährt. Die weitaus größere Mehrzahl
der Hausbesitzer ist zu bewegen gewesen, die
verlangte Genehmigung zu ertheilen, so dass
die Einleitung von Enteignungsverfahren zur
Anbringung von Wandrosetten bisher nicht
erforderlich geworden ist.
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Im Hinblick auf die guten Erfolge der von P.
Volck mit Umsicht und Geschick,
hauptsächlich in dienstfreier Zeit,
geführten mühevollen und vielfach
undankbaren Verhandlungen wurde demselben …
eine Prämie von 6,-- M. für jede bei den
Hauseigenthümern erlangte Genehmigung zur
Anbringung einer Rosette bewilligt und
bezahlt. Mit Magistrats-Beschluss vom 6.
Dezember vor. Jrs. -2434- ist uns jedoch
eröffnet worden, dass diese Bewilligung der
vorherigen Zustimmung des Magistrats bedurft
hätte und das diese Zustimmung für die Folge
vorher einzuholen ist. Wir beantragen daher: |
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Der Magistrat wolle genehmigen, dass für
jede der Stadt bewilligte Anbringung einer
Wandrosette dem Beamten des Elektrizitäts-
und Bahnamtes, welcher die Vereinbarung
herbeigeführt hat auch fernerhin eine Prämie
gewährt werde, jedoch mit Rücksicht darauf,
dass die Hauseigenthümer sich nunmehr im
Allgemeinen bereits mit der Anbringung von
Rosetten befreundet haben und daher die
Verhandlungen weniger schwierig zuführen
sind als früher, die Prämie auf 4,-- Mark
herabzusetzen
[9].“ - Zwanzig Jahre später bewilligte der
Magistrat die Aufstockung der Prämie auf
40,00 Mark.
[10] |
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Das neue
Recht von 1937 |
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Das städtische Enteignungsrecht wurde durch
das neue Personenbeförderungsgesetz
[11]
bzw. die auf seiner Grundlage erlassene Bau-
und Betriebsordnung
[12]
gegenstandslos; die BOStrab regelte
umfassend die baulichen und betrieblichen
Verhältnisse der Straßenbahn und ersetzte
mit Wirkung vom 1.1.1938 reichsweit alle
bisherigen Bau- und Betriebsvorschriften der
Länder. Die Duldungspflicht der
Hauseigentümer hinsichtlich der Wandrosetten
regelte sie allerdings nur indirekt. § 14
Abs. 3 BOStrab1938 besagte, dass für das
Anbringen oder Errichten von
Haltevorrichtungen für die Oberleitung die
Bestimmungen in § 3 Straßenverkehrsordnung
über Anbringung und Duldung von
Verkehrsschildern sinngemäß gelten. |
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Nach den neuen Regeln kam es auf das
Verhandlungsgeschick der
Straßenbahnmitarbeiter nicht mehr an. Dem
Geist der Zeit entsprechend war das
Verfahren autoritär und denkbar einfach:
wenn kein Mast auf öffentlicher Straße
aufzustellen war, teilte die
Verkehrspolizeibehörde im Benehmen mit der
Straßenbahnverwaltung dem
Grundstückseigentümer mit, wann, wo und wie
viele Wandrosetten angebracht würden und
dies war vom Eigentümer zu dulden. Eine
Entschädigung konnte im Schadenfall gewährt
werden, wenn dem Eigentümer durch die
Maßnahme ein Schaden erwachsen war, den
selbst zu tragen ihm billigerweise nicht
zugemutet werden kann. Darüber entschieden
die Polizeibehörde und ggf. die nächsthöhere
Verwaltungsbehörde
[13]. |
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Provisorische Regeln nach 1945 |
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Nach dem Krieg lebte das
städtisch-preußische Enteignungsrecht nicht
wieder auf; obwohl PBefG1935 und BOStrab1938
formal NS-Gesetze waren, galten sie fort.
Allerdings war die Enteignungsregel gemäß §
14 Abs. 3 BOStrab1938 i.V. mit § 3 Abs. 5
StVO1935 im Hinblick auf den neuen Art. 14
Abs. 3 GG nicht mehr verfassungskonform,
nur: es gab weder eine neue
bundesgesetzliche Regelung noch war sie
absehbar. |
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Nicht nur die schon bald nach Kriegsende
begonnenen Neubauvorhaben der Straßenbahn,
z.B. die Neubaustrecke durch Wilhelm-Hauff-
und Mendelssohnstraße, wo man Wandrosetten
benötigte, sondern auch die große Zahl von
Wandrosetten, die beim Wiederaufbau
zerstörter Gebäude anzubringen waren,
erforderten eine rechtliche Neuregelung.
Eine Möglichkeit hierfür bot die neue
Hessische Gemeindeordnung
[14],
die der Stadt Frankfurt den Erlass einer
Polizeiverordnung erlaubte. Die städtischen
PolizeiVOen von 1951
[15]
und 1954
[16]
enthielten einen Sonderabschnitt für
Hauseigentümer, der sie zur Duldung der
Wandrosetten verpflichtete.
Diese Regelung galt bis
Inkrafttreten des neuen
Personenbeförderungsgesetzes
[17]
im Jahr 1961. |
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Seitdem ist die
Duldungspflicht für
Wandrosetten nicht mehr in nachgeordneten
Bestimmungen, sondern
unmittelbar im Gesetz
geregelt; beim Bau neuer Anlagen ist über die
Duldungspflicht im
Planfeststellungsverfahren
zu entscheiden (vgl. heute §
32 PBefG). In der Umsetzung
ist die Praxis heute wie
damals sehr unterschiedlich.
Während durchaus neue
Wandrosetten und andere
Befestigungen auch an neuen
Gebäuden vorkommen, z.B. in
der Volta-, Textor-,
Hedderich- und Langestraße,
scheinen Einigungen mit
Hauseigentümern auch
weiterhin nicht überall
möglich zu sein. Einer der
wenigen öffentlich
gewordenen Streitfälle
betraf eine Wandrosette am
Haus Offenbacher Landstraße
251 (vgl. VGF-Pressemeldung
vom 11.8.2009
[18]). |
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Auch technisch sind die
Wandrosetten und vor allem
ihre Befestigung im
Mauerwerk anspruchsvoller
geworden (u.a. wegen
Wärmedämmung an Fassaden).
An manchen Stellen kann man
ahnen, dass die Zuglasten
heute größer sind und damit
auch der
Befestigungsaufwand, etwa an
der Kreuzung Friedberger
Land-/Rohrbach-/Glauburgstraße,
wo Ende 2010 die rund 100
Jahre alten Wandrosetten
außer Dienst gesetzt und
durch kräftige
Stahlrohrmasten ersetzt
wurden. Auf
den Neubaustrecken der Linien 17 und 18 in
der Stresemannallee und der Friedberger
Landstraße ist gut zu sehen, dass die
Wandrosetten städtebaulich weitaus weniger
aufdringlich wären als der „Mastenwald“, der
sie ersetzte. |
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[1] „Hausrosetten müssen mit Schalldämpfern
versehen sein.“ §12 der Bau- und
Betriebsvorschriften für Straßenbahnen mit
Maschinenbetrieb vom 26.9.1906, Zentralblatt
der Bauverwaltung, Nr. 88/1906, S. 555 ff. |
[2] bestehend
aus den Firmen Siemens & Halske und Brown,
Boverie & Cie. |
[3] ISG,
Magistratsakte R 1795, Bl. 33R |
[4] ISG, Magistratsakte R 1795, Bl. 33;
Frankfurter General-Anzeiger vom 23.4.1899 |
[5] Gesetz
über Enteignungen vom 11. Juni 1874, Preuß.
Gesetzessammlung S. 221 |
[6] ISG;
Magistratsakte R 1795, Bericht des
Elektrizitäts- und Bahnamtes vom 25.7.1899
an den Magistrat, Bl. 3 ff. |
[7] ISG,
a.a.O., Bl. 11 |
[8] ISG, a.a.O., Bl. 4 |
[9] ISG, Magistratsakte R1795,Bl. 33,
Schreiben des Elektrizitäts- und Bahnamtes
vom 11.1.1902 |
[10] ISG, a.a.O., Bl. 41 |
[11] Gesetz über die Beförderung von
Personen zu Lande -PBefG- vom 4.12.1934,
RGBl. I, S. 1217 |
[12] Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung
-BOStrab- vom 13.11.1937, RGBl.I S. 1179 |
[13] § 3 Abs. 4 und 5 StVO |
[14] Hessische Gemeindeordnung vom 21.
Dezember 1945, GVBl.1946 S. 1 |
[15] Polizeiverordnung über die
Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung
auf und an den Straßen der Stadt Frankfurt
am Main vom 17.12.1951, Mitteilungen 1951,
S. 243 |
[16] PolizeiVO vom 20.7.1954, Mitteilungen
1954, S. 189 |
[17] Personenbeförderungsgesetz vom 21.3.1961, BGBl. I, S.
241; Neufassung vom 8.August 1990 (BGBl.I
S.1690)
Zuletzt geändert durch
Artikel 27 des Gesetzes vom 7.
September 2007 (BGBl. I S.
2246) |
[18]
http://www.vgf-ffm.de/de/aktuellpresse/news/einzelansicht/news/klotz_des_anstosses_vgf_demontiert_provisorischen_mast/ |
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